DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Walther, Alwin (6.5.1898 Dresden - 4.1.1967 Darmstadt (Fußnote 1) gilt als Vater der Informatik in Darmstadt, aber auch als Freund und Förderer der V2, einer im Dritten Reich entwickelten Rakete. Von 1916 - 1919 leistete Walther Militärdienst, wurde zweimal verwundet und erhielt das Eiserne Kreuz. Walther studierte von 1919 - 1923 Mathematik und Physik in Dresden und wurde anschließend an der Universität Göttingen Assistent und Dozent. Im Jahr 1922 wird er zum Dr. rer. nat.promoviert. 1923 schloss sich ein wissenschaftlicher Aufenthalt in Kopenhagen an. Im Jahr 1928 wurde Walther als ordentlicher Professor für praktische Mathematik an die Technische Hochschule Darmstadt (heute: Technische Universität) berufen. In den 30er Jahren gründete Walther das Institut für Praktische Mathematik (IPM) an der TH. Hierbei erkennt er auch, dass seine Forschungen auf dem Gebiet der Luftfahrt-, Raketen-, Rundfunk- und Strömungstechnik verwendet werden können.

Der Gedanke, bei komplizierten Berechnungen auch technische Maschinen einzusetzen, führt zu einer "elektromechanischen automatischen Integrieranlage", die zusammen mit der Firma Ott entwickelt wurde. Während des Zweiten Weltkriegs stehen Alwin Walther und das IPM im Dienste des Militärs. Wenige Wochen nach Beginn des 2. Weltkrieges bekam das IPM einen Großauftrag von der Heeresanstalt Peenemünde, dessen wissenschaftliches Personal zu etwa einem Viertel aus Darmstadt kam. Auf Walthers ausdrückliche Bitte wurde der Auftrag für ballistische Rechnungen zur Entwicklung der V2-Rakete mit dem Zusatz "Lösung möglichst auf instrumentellem Wege" versehen, was Walther in einer Rede von 1961 als "glücklichen Umstand" festhielt. Walther war wohl nach verschiedenen Quellen kein Nationalsozialist. So wurde in einem Spitzelbericht von 1944 seine Personalpolitik beklagt, wonach er aktive Nationalsozialisten bewusst fernhalten würde. Es wurde ihm jedoch bescheinigt, "eifrig zu arbeiten" und "sachlich bestrebt" zu sein. Dennoch scheint er doch gegenüber den Naziregime eine gewisse Naivität zu pflegen.

So ist folgendes Zitat überliefert: "[...] Im Frühjahr 1943 automatisierten wir eine ballistische Berechnung, die uns vom Heereswaffenamt gegeben worden war [...] Wir hatten großen Spaß daran gefunden [...] und wir stellten sofort nach Beendigung dieses Auftrags einen Antrag an das Heereswaffenamt, wir möchten doch gerne prinzipiell die Automatisierung des Rechners untersuchen [...]". Auch war er bereit, am Aufbau einer auf Betreiben des SS-Ahnenerbes und des Reichsforschungsrates konzipierten "Abteilung M(athematik) des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung" im KZ Sachsenhausen mitzuwirken. Im Herbst 1944 kurz vor Ende des Krieges, als die Rakete Z1 ins Spiel kam, gewann für die Nazis das Interesse an automatischen Rechenmaschinen an Bedeutung. Im Krieg wurde das IPM weitgehend zerstört.

Nach dem Krieg wollten ihn die USA - wie viele andere an der Rüstungsforschung beteiligte Wissenschaftler - anwerben. Dies lehnte er mit folgender Begründung ab: "Es hat meiner pazifistischen Art während des Krieges stets widerstrebt, dass manchen meiner Arbeiten letzten Endes auf kriegerische Maßnahmen hinausliefen". 1955 übernimmt Walther eine Gastprofessur in Berkley/USA und leitet im Oktober 1955 die Tagung der Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM) zum Thema "Elektronische Rechenmaschinen und Informationsverarbeitung" in Darmstadt. Im Jahr 1957 sorgt er dafür, dass die TH Darmstadt als erste deutsche Hochschule einen Computer bekommt: es ist eine IBM 650. 1961 beschreibt er in einem Rückblick die Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule 1936 begeisternd und hebt dabei besonders die "Bedeutung und Notwendigkeit wissenschaftlicher Forschung an Technischen Hochschulen" hervor, auf die Professor Thum, der damalige Vorsitzende der Vereinigung von Freunden der TH Darmstadt, seinerzeit in seinem Vortrag eingegangen sei. Naivität oder Schönreden der eigenen Rolle? Drei Monate nach seiner Emeritierung verstarb er am 4. 1. 1967. Sein Institut wurde kurz danach aufgelöst.

Seit 1997 vergibt die Technische Universität Darmstadt die Alwin-Walther-Medaille für hervorragende Leistungen sowie außergewöhnliche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf den Gebieten der Informatik oder der Angewandten Mathematik. Die hochkarätige Jury würdigt darüber hinaus mit dem Preis Personen, die in hervorragender Weise die TUD sowie den Aufbau und die Weiterentwicklung der Fachbereiche Informatik und Mathematik unterstützt und gefördert haben. Am Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, am 8. Mai 1998, veranstaltete die TU ein Festkolloquium zum 100. Geburtstag von Walther. Ein ehemaliger Schüler und Assistent Walthers räumte in seiner Rede ein, dass Walther "wohl einen entscheidenden Anteil an der Berechnung der Ballistik" der V-Raketen von Peenemünde  gehabt habe. Dennoch wandte er sich dagegen, ihn leichtfertig als "Kriegsforscher" zu bezeichnen. Bei einer Veranstaltung der Werkbundakademie ruft ein Professor Henner Schneider vom Fachbereich Informatik der Fachhochschule Darmstadt die Verdienste Walthers für die praktische Mathematik und des elektronischen Rechnens in Erinnerung. Der Meldung ist nicht zu entnehmen, ob er auch die Verdienste Walthers für das NS-Regime in Erinnerung rief.

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(1) Andere Quellen geben Seeheim und auch Heidelberg an (zurück)

 

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